Nachruf Alfred Riedl
TSCHAU FREDL!
29.Juli 2013
Ich sitze auf der Hohen Wand und starre hinab auf die ockergelben Kornfelder, wo die Bauern sich zur Ernte bereit machen.
Alles scheint den gewohnten Weg zu gehen, Säen, Wachsen, Reifen, Ernten.
Ich jedoch habe das Gefühl, als ginge ich unzählige Runden in einem Kreise aus dornenbedecktem Grunde, aus dem ich nicht aus kann.
He Fredl, ich möchte Dich gerne anrufen und fragen, wie es vorgestern am Dachstein war; fast wären wir zu viert gemeinsam unterwegs gewesen, doch dann entschieden wir uns für die schattigen Gesäusewände und ich blickte mehrmals hinüber zum „Stoa“, Dich und Claudia dort wissend.
Nicht ahnend,welch Zäsur dieser Tag bedeuten würde….
Über 20 Jahre gingen wir nun gemeinsame Berg- und manchmal auch andere Wege, es ging über eine reine Kletterpartnerschaft weit hinaus; dabei hatte es ganz anders angefangen:
1991 glaube ich, war es, als wir uns auf der Hohen Wand in die Haare gerieten, Du als Kritiker meines damaligen Tuns und ich als Verteidiger meines Standpunktes – über eine halbe Stunde beflegelten wir uns gegenseitig, dann schlugst Du mir, mich überraschend, vor:„Gemma Klettern!“
Es war das erste, aber nicht das letzte Mal.
Spät erst, mit Mitte Zwanzig, hattest Du mit dem Klettern begonnen und ich lernte Dich damals in Deiner sogenannten „Wilden Zeit“ kennen: Im Gebirge klettertest Du mit spärlicher Absicherung im selben Niveau wie im Klettergarten, das wurde von vielen als kühn empfunden und das war es auch. In diese Zeit fiel unter anderen Deine legendäre „Murmelschreck“-Tour in den Lechnermauern, aber auch Deine Routen und Versuche am Dachstein: Der „Gabelriß“ am Scheiblingstein etwa oder „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ – eine Anspielung und „Retourkutsche“ an eine Aussage Deines Bergführer-Ausbildners Klaus Hoi und ein Routenname – wie typisch für Dein schelmisch-bubenhaftes Gehabe, das Du Dir bis zuletzt behalten solltest und für das ich Dich so sehr mochte.
In dieser Zeit gelangen Dir auch Deine wohl bedeutendsten Alpintouren: Dachstein: Magic Line 7 – 2.Beg , „Indirekte 7+“, „Unmögliche 8-A1“; Marmolada: „Moderne Zeiten 8-„, „Via Fortuna 8-„ ; Zinnen: „Hasse-Brandler 8+“; Torre Trieste: „Carlesso Sandri 8-„; Wendenstöcke: „Stars Away 8-„ , Gesäuse: „Anima Mundi 8-Ao“sowie viele andere Anstiege bis hin zum Montblanc.
Es war auch die Zeit, wo Du gerne solo im Steilfels unterwegs warst, das Klettern war Dir damals wohl nicht nur Antrieb, sondern durchdringender wahrhafter Trieb: Da du nie ruhig sitzen konntest, musstest Du Dir zB bei einer Familienfeier in Stollhof eine „Auszeit“ gönnen, um rasch die „EB-Platte“ free solo zu klettern ; auch den „Grünbachersteig“ in der Hochfallwand hast Du im selbigen Stil bewältigt; auf der Rax warst Du alleine in der „Hic Rhodus Hic Salta“ und in etlichen anderen Touren unterwegs….das Glück war damals oft mit Dir!
1995 führte uns unsere erste gemeinsame Kletterreise nach Jordanien und ich kann mich noch herzensgut daran erinnern, wie Dir beim ersten Anblick der unzähligen Sandsteinriesen förmlich der Mund offen geblieben ist. Es war dann natürlich so, dass wir bereits am ersten Tag frühmorgens mit nur wenigen Normalhaken in einem unmöglich aussehenden Verschneidungssystem staken, dem Du dann doch wirklich 2 Seillängen abringen konntest, ehe wir zu einem „normaleren“ Tagesfortgang starten konnten.
Tage später saß ich dann mit Dir schon recht erschöpft nach soeben erledigter Erstbegehung auf einem Sandsteinmugel und freute mich bereits aufs Bier, als Du doch wirklich vorschlugst, noch eine „zweite Erstbegehung“ zu machen. Meine Einwände wurden mit dem stichhaltigen Argument „Na dann können wir ja 2 Erstbegehungsflascherln trinken!“ abgewürgt.
Als korrigierender „Dämpfer“ und Dritter in der ganzen Angelegenheit fungierte damals auch wie des öfteren der Königsberger Peter (der im Laufe der Jahre zu Deinem wohl häufigsten Kletter- und Bohr-Partner wurde), welcher, als Du Dich schon ziemlich am Limit wieder einmal einen schlecht abzusichernden Riß emporkämpftest und ich im Begriff war, Dir motivierende Wortspenden zu geben, nur ganz lapidar, den obligatorischenTschik im Mundwinkel, meinte: „Feuer ihn net auch noch an, der ist eh scho leichtsinnig gnua!“
Du Fredl: ich versuche gerade zu eruiren, warum es gerade dieses Mal so schmerzhaft ist – die Reihe der „Verlorenen“ ist ja doch schon eine lange und es will oder kann doch keine „Gewohnheit“ eintreten….
Ich starre hinab von der Hohen Wand ins hitzeflimmernde Ockergelb.
Ich glaube, es hat zwei Gründe: Zum Einen, dass ich Dich doch so lange kannte und dass wir uns so lange verbunden waren.
Und zum Zweiten, dass ich es nicht glauben kann und will, dass ein solches Energiebündel wie Du von einem auf den anderen Moment nicht mehr für mich und uns „greifbar“ ist.
Schrecklich verlassen empfinde ich heute die Hohe Wand, meine Tränen verdampfen im staubtrockenen Grunde.
„Nicht traurig sein“ würdest Du wohl jetzt sagen, oder noch direkter: „Scheiss Di net an!“
Deine „wilde Alpinzeit“ war leider nicht mit Deiner Ehe mit Erna kompatibel, Routennamen wie „Merci Cherie“ oder „Ernas Angst“ sprachen Bände; und Deine Tochter war noch jung. Nach der Trennung ging es Dir nicht gut. Du versuchtest, es nicht zu zeigen, aber ich spürte es.
Bald lerntest Du Claudia kennen – du nahmst sie mit in Deine Lebenswelt, widmetest ihr ein Gipfelkreuz am Peilstein und der „Riedl rollte wieder“!
In den letzten beiden Jahren sogar mit einem kleinen Wohnwagenei, mit dem Du die Alpen unsicher machtest. Bald kletterte Claudia alle steilen und langen Touren mit Dir.
Deine „wilde Zeit“ war vorbei,das Klettern blieb aber dein Lebensmotor!
Fortan widmetest Du viel Deiner Zeit für die Suche nach neuen langen Klettertouren von der Hohen Wand bis zur Rax.
Du hast viel hinterlassen Fredl, das weißt Du auch; und dass Du in Deinen unzähligen Erstbegehungen am Totenköpfl, in der Sonnenuhrwand, in der Hochfallwand (alle Hohe Wand) oder Blechmauer, Vordere Klobenwand und Lechnermauern (alle Rax) oder am Dachstein und im fernen Jordanien lange lange noch weiterleben wirst, ist ein zumindest schwacher Trost für mich.
Es war nämlich Deine Zweitlieblingsbeschäftigung nebst dem Klettern: das Aufspüren, Finden und Einrichten von neuen Anstiegen – und genau da trafen wir uns komplett in unserer beiden Vorlieben – ständig standen wir im Austausch die letzten 20 Jahre, luden uns gegenseitig zu Erstbegehungen ein, berichteten uns von unseren Neuentdeckungen….
…verdammt Fredl, auch das wird mir gewaltig abgehen!
„Scheiss Di net an!“ würdest Du mir vielleicht jetzt wieder vermitteln wollen, wenn es Dich noch irgendwo gibt..
…ja Du hast recht Fredl!
Von Deinem grenzenlosen Optimismus kann ich mir noch ein paar große Scheiben abschneiden!
Nie vergessen werde ich unser Gespräch, als Du im Zuge Deiner Bergführertätigkeit am Peilstein durch einen dummen Unfall Deinen Daumen verlorst, diesen im Dreck wieder aufnahmst, um schnurstracks mit dem Daumen in der Hand zum Peilsteinhaus zu laufen, um sich vom Hubschrauber ins AKH fliegen zu lassen und den Daumen wieder annähen zu lassen. Einen Tag später ist dann der Arzt wieder gekommen mit den Worten „Tut mir leid, Herr Riedl“, und hat ihn wieder abgesägt – das berichtetest Du mir ganz lapidar und mit den Worten „Ich hab eh noch einen Zweiten“…
Du warst ein kritischer, ehrlicher Mensch, Fredl – eine Spezies, welche man heutzutage leider all zu selten findet – niemals redetest Du jemandem nach dem Munde und hattest einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und ehrenhaftes Verhalten– damit machtest Du Dir nicht immer Freunde (auch wenn manche jetzt so tun, als seien sie es gewesen)
Liebe Kletterer im wilden Osten!
Ihr verdankt dem Fredl nicht nur so geniale Touren wie „Osterhasi“, „Traummosaik“, „Pfeilerharmonie“ oder „Traum und Wirklichkeit“ auf der Hohen Wand oder Touren wie „Ganz normaler Wahnsinn“, „Diesseits von Eden“, „Altknecht“, „Gelber Oktober“, „Nix für Suderer“, „Murmelschreck“, „Affentango“ oder „Aqua Quarium“ auf der Rax ; oder „Merci Cherie“, „Der frühe Vogel..“ am Dachstein (und das sind bei weitem noch nicht Alle!), nein: viele von Euch werden wohl nicht viel wissen von seinem unermüdlichen Einsatz um den Erhalt und Fortbestand unserer Klettergebiete und –möglichkeiten: Wortgewaltig, mit Überzeugungskraft trat er bei den unzähligen Verhandlungen mit diversen Behörden auf – und ohne diesen Einsatz würdet Ihr womöglicherweise nicht überall dort klettern, wo Ihr es jetzt tut.
Dann, Fredl, waren da noch unsere gemeinsam veranstalteten Kinderkletterkurse im Weichtalhaus- selten nur kann ich mich an eine so stimmige „Arbeits-Chemie“ erinnern!
He Fredl, nicht nur an all das und die vielen gemeinsamen Klettertouren möchte ich jetzt denken, nein: sobald nämlich die weisse Pracht vom Himmel fiel, wurdest Du ebenfalls sehr sehr unruhig – und auch da war Dir keine „Abnormalität“ zu dumm: Das Große Übeltal auf der Rax, verdammt war das genial – oder der Kolingraben vor einigen Jahren – beim Weichtalhaus die Ski abgeschnallt, oder unser Abenteuer im „Breittal“…
Manchmal waren wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort – so wie letzten Winter bei unserer vermutlichen Erstbefahrung der Vargschlucht auf der Rax, unserer letzten gemeinsamen Skitour…
Ja Fredl, Du warst wahrlich ein alter Haudegen!
Und du hast recht: Vielleicht sollte ich nicht weinen, sondern glücklich darüber sein, so viel gemeinsame Lebenszeit verbracht zu haben.
Jetzt hast Du den Berg erstiegen, der uns noch Mühe macht.
Vielleicht sehen wir uns dereinst in irgendwelchen Hallen wieder; Du glaubtest daran- ich würde es mir sehnlichst wünschen!
Thomas